Interview mit einem Orgelbauer

Mitte Dezember im Jahr 2020. Aus dem gemütlich-warmen Büro in Greetsiel mit selbstgebackenen Keksen von unserem „Kollegen des Monats: Hendrik“ fahre ich heute nach Uttum. Dort wird schon seit Anfang April die fast 400 Jahre alte Orgel von einer der größten Orgelbauwerkstätten der Welt aus Leer restauriert und ich bin sehr gespannt, was mich erwartet.

Vorbei an den Greetsieler Zwillingsmühlen, die um diese Zeit wunderschön beleuchtet sind, fahre ich über Eilsum und Jennelt nach Uttum. Als typisches Warfendorf mit der Kirche als höchsten Punkt, sieht man die Kirche schon von weitem und ich fahre eine der sternenförmig auf die Kirche ausgerichteten Straßen hoch.

Es ist doch immer wieder beeindruckend. Was haben wir doch herrliche alte Backsteinkirchen in unseren Krummhörner Dörfern und fast alle beherbergen kostbare Orgeln, die teilweise älter als 550 Jahre sind. Herr Hendrik Ahrend von der Orgelwerkstatt in Leer begrüßt mich freundlich und bittet mich in die Kirche. Schnell durchschreiten wir den eiskalten Vorraum und stehen dann inmitten der Uttumer Kirche an dem kostbaren Taufbecken, das ich als Schreibunterlage nutze – man möge es mir verzeihen!

Zur Geschichte der Orgelwerkstatt:

Hendrik Ahrend ist der Sohn und Nachfolger von Dr. h.c. Jürgen Ahrend, der 1954 die weltweit bekannte Orgelwerkstatt mit seinem Partner Gerhard Brunzema in Leer-Loga gründete. Es gibt kaum eine Orgellandschaft mit einer so hohen Dichte an historischen Orgeln, wie Ostfriesland. Hier konnten sich die beiden jungen Orgelbauer damals schnell internationales Ansehen verdienen.

Alle Bestandteile der Orgel werden in der Orgelwerkstatt in Leer, die sich in zwei Bereiche unterteilt, selbst hergestellt:

1) Holzwerkstatt mit 4 TischlerMEISTERN (lachend fügt Herr Ahrend hinzu: „…mehr Häuptlinge als Indianer!“) und

2) der Pfeifenwerkstatt, wo mit Blei und Zinn gearbeitet wird. 3 Orgelbauer, davon einer selbst ausgebildet und ein Auszubildender sowie ein Klempner, der u.a. die Pfeifen bearbeitet. Alles in allem: eine große Orgelfamilie ohne Fluktuation. Außer Hendrik Ahrend selbst…

War Orgelbauer schon immer ihr Traumberuf und sind Ihre Kinder an einer Übernahme der Orgelwerkstatt interessiert?

Als mittlerer Sohn der fünf Kinder von Jürgen Ahrend (aus erster Ehe) fühlte ich mich nicht von Kindesbeinen an zum Orgelbauer berufen. So studierte ich erst Englisch und Sport, half aber immer gerne in der Orgelwerkstatt aus. 2000 – 2002 absolvierte ich doch noch eine Ausbildung zum Orgelbauer im Schwarzwald. 2005 übernahm ich die Orgelwerkstatt von meinem Vater, der diese nach 50 Jahren übergab. Wie es aussieht, wird auch mein Sohn Paul in meine Fußstapfen und die meines Vaters treten. Er hat viel mehr Talent als ich und arbeitet mit großer Freude an der Sache. Bei mir war es eher ein längerer Reifeprozess. Paul macht nun eine Ausbildung zum Orgelbauer bei unserem größten Konkurrenten Kristian Wegscheider in Dresden, der wiederum von meinem Vater motiviert und inspiriert wurde! Darauf bin ich natürlich sehr stolz!

Wie lange dauert die Restaurierung einer Orgel, wie nun z.B. diese in Uttum?

Das kommt immer auf den Zustand der Orgel an. Hier haben wir schon im April begonnen, die ersten Teile nach Leer zu holen, allerdings wurde das ganze Gehäuse mitgenommen. Danach holten wir die 600 Pfeifen und bearbeiteten diese in der Pfeifenwerkstatt. Alle 600 Pfeifen werden nun wieder eingebaut und müssen noch von mir „intoniert“ werden – aufeinander abgestimmt und gestimmt werden. Viele Orgelwerkstätten haben keinen eigenen Intonierer, bei uns kommt vom Gehäuse über die Pfeifen bis zur Intonation alles aus einem Haus. Wir hoffen auf eine Weihnachtsandacht mit fertig restaurierter Orgel!

Sie haben Orgeln in der ganzen Welt restauriert oder neue gebaut und ausgeliefert, bspw. in Norwegen, Australien, Schottland und Tokio! Wo gefällt es Ihnen am besten und warum?

Ich habe ein Jahr in den USA gelebt und mich dort sehr wohl gefühlt, aber auch in den Orten, in denen wir orgeltechnisch gearbeitet haben, war es immer faszinierend und schön. Pauschal sagen, wo es am schönsten war, kann ich gar nicht. Es war immer dort besonders schön, wo die Menschen nett und zuvorkommend waren. Momentan ist es natürlich dort, wo die Familie und Freunde wohnen – also in Ostfriesland!

Haben Sie noch weitere Orgeln in der Krummhörn und näherer Umgebung restauriert?

Die Krummhörn kann wuchern mit ihren Orgelschätzen! Mein Vater hat bereits als eines seiner ersten Projekte die Uttumer Orgel restauriert. Außerdem stehen auf unserer Werkliste u.a. die Orgeln in der Pilsumer Kreuzkirche, Jennelt, Rysum, Osteel, Marienhafe und Westerhusen.

Können Sie eigentlich Orgel spielen und spielen Sie noch weitere Instrumente?

Ja, Orgel spielen kann ich – wenn auch nicht wie ein Organist. In meiner Freizeit spiele ich lieber Saiteninstrumente, wie Mandoline, Gitarre, Kontrabass und Banjo.

Nach über einer netten Stunde gemütlichen Plausches am Uttumer Taufbecken habe ich viel über Orgeln, Blasinstrumente, die chemische Reaktionen von dem Eichenholz mit dem Blei der Pfeifen, Noten, Zwischentönen etc. erfahren.

Während des Gespräches spürte man förmlich die Begeisterung von Hendrik Ahrend zu seinem Beruf, aber auch die Wertschätzung seiner Mitarbeiter und somit des „großen Ganzen“ der Orgelwerkstatt.

Anschließend durfte ich über die sehr schmale Treppe (übergewichtige Organisten gab es anscheinend nicht) nach oben zur Orgel steigen und meinen Kopf einmal in das Innenleben der imposanten Orgel halten. Herr Ahrend schlug eine Terz an und man hörte förmlich die Wellen – mal weich, mal etwas schrill und hart. Danach balancierten wir eine noch schmalere Leiter bis ganz nach oben hoch, wo ein Teil der restaurierten Pfeifen todesmutig am Rand des – sagen wir mal großzügig – Brettes standen. „Bitte nicht berühren“, rief Herr Ahrend hinter mir. So schaurig eng und hoch es da oben war, so faszinierend war es auch, einen Teil der 600 Pfeifen zu sehen. Da gab es riesige und ganz kleine Pfeifen, Pfeifen mit und ohne Deckel und gebogene Pfeifen mit einem kleinen Aufsatz für die vielen verschiedenen Töne und Facetten.

Kurios: Eine Universität in Nagasaki/Japan hat die Uttumer Orgel nachbauen lassen, damit die dortigen Studenten in den Genuss kommen, solch ein Klangvolumen zu hören und zu spielen – unglaublich oder?

  1. Ein informativer Bericht, besonders interessant, weil ich vor zwei Wochen gerade in Uttum in der Kirche war. Danke.
    Habe auf meiner Internetseite gerade darüber berichtet.
    Gruß Helmut

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